“Es gibt auch eine Jungfraeulichkeit
der Seele.”
Es war meine zweite vietnamesische
Hochzeit in Vietnam .
Nein, nicht die eigene, sondern die einer nahen Verwandten . Die aelteste Enkelin, “nicht blutsverwandt” (!) mit meiner Frau, wurde , stark gegen den Willen ihrer Eltern, mit ihrem Freund ehelich verbunden. Schon bis hierhin ergeben sich kulturelle vietnamesische Gegebenheiten, deren Darstellung einige Kapitel in einem Buch fuellen koennen. Meine Frau und ich waren schon foerdernde treibende Kraft zu dieser hoffentlich in der Zukunft sich positiv weiter entwickelnden ehelichen Verbindung. Dem Zustandekommen ging ein fuer uns alle dramatisches, nervenaufreibendes Jahr voraus, mit zweimaligem “Ausbruch” des Maedchens aus der elterlichen Familie, der der Braeutigem als “zu arm” erschien. Wir beteiligten uns an der Organisation der Hochzeit selbst , mit Fotografen, Zeremonienmeister etc. und kommen fuer die Kosten auf. O-Ton : “Dann sind wir die wenigstens los.”
Diesmal hatte ich , was mein Outfit angeht, auch fuer das Wichtigste bei solch einem Anlass in Vietnam fuer den Mann gesorgt : ein Paar sehr gut aussehende schwarze Schuhe von Deichman , Sonderangebot 45 Euro . Anzug mit Weste vom vietnamesischen Schneider von vor 12 Jahren war vorhanden. Der Feststellhaken vorne an der Hose musste nur unwesentlich erweitert werden. Die liebe Schwaegerin , Lehrerin, naeht auch , auf der uralten Singer sincere. Die Krawatte vom Nachbarn ausgeliehen. Und alles das fuer 2 ½ Stunden. Das war die “offizielle” Feier fuers Fussvolk. Gleicher Ablauf wie im Forum wohl schon von anderen beschrieben. Nicht in einer/m der Hochzeits”fabriken”/-tempel , sondern in einem Hotelrestaurant an der 131, Cách Mạng Tháng Tám, District 3, Sài Gòn mit 20 Tischen a 10 Personen.
In der Woche darauf gab es noch die
festliche Uebergabe der Braut an das Elternhaus des Braeutigams, eine
Feier hauptsaechlich fuer die Nachbarn.
Dabei stiess ich bei den Frauen der
Familie im Zuge der Vorbereitungen immer wieder auf deren mehr
amuesant untereinander behandeltes Tuschel-Thema. Das wurde mir dann
schliesslich auch von meiner Frau genauer erklaert : ist das
Maedchen noch jungfraeulich oder nicht ? Kann man das in der Familie
untersuchen , ohne auf ganz alte Traditionen zurueckzugreifen wie :
am zweiten Tage von der Familie des frischen Ehemannes einen
Schweinskopf dargebracht zu bekommen, der noch die Ohren dran hat,
wenn das Maedchen Jungfrau war, und diese abgeschnitten, wenn nicht …
Das Thema wurde also mit Lachen behandelt, die beiden wurden dabei
eher etwas wie Mittelpunkt fuer leichten Spott. Ich hatte das Glueck,
dabei von alten, sicherlich nicht mehr praktizierten Sitten zu
erfahren. Aber auch vietnamesische Frauen haben ihr Witze-Arsenal der
untersten Schublade, aus der im Geiste das blut- (oder Kakaopulver
mit rotem Farbstoff oder Schweineblut ) - beschmierte weisse
Tuechlein der Vergangenheit gezogen wird.
Danach machte ich mich auf der Ebene
der obersten Schublade kundig.
An einer 45 – Seiten langen Studie
zum Master des Fakultaetbereichs “Menschliche Sexualitaet” aus
dem Jahre 2005 an der Staatlichen Universitaet San Francisco ueber
das Verhalten junger Vietnamesinnen und Vietnamesen gegenueber der
“Jungfraeulichkeit” einer Braut. Und die Bedeutung fuer das
Ansehen des Mannes und seiner Familie. Die Probanden fuer das
Interview stammten alle aus der intellektuellen “Oberschicht”
(Studentinnen und Studenten aus 6 Hanoier Universitaeten) in Hanoi
und im Umfeld aus Hanoi , und damit scheint die Repraesentativitaet
ohnehin eingeschraenkt.
Ausloeser fuer das Interesse an der
Problematik des Aspiranten war ein Vorfall in der Verwandtschaft
sowie die Tatsache, dass jaehrlich fast 1 Million Abtreibungen in
Vietnam vorgenommen werden, davon 300.000 bei unverheirateten jungen
Frauen und Maedchen.
Historisch war Jungfraeulichkeit vor
Eintritt in die Ehe ein “Muss” fuer die Reputation der Frau und
ihre Eltern . Noch heute ist “saving woman’s life” , S. 5,
ebenso eine diesen Zustand umschreibende vietnamesische Redensart
wie “weise in drei Jahren, dumm in einer Stunde”.
Am zweiten Tag nach der Eheschliessung
war es in einem bestimmten Teil Vietnams ueblich, dass die Familien
zusammenkamen und die Braeutigamsfamilie mit einem Schweinskopf zum
Schmaus aufwartete. Hatte sich in der Hochzeitsnacht herausgestellt,
dass die Braut noch Jungfrau gewesen war, war der Schweinskopf
vollstaendig, wenn nicht, wurde der “moralische Makel” durch
abgeschnittene Schweinsohren oeffentlich gemacht.
Die
Studie stuetzt sich im historischen Teil oft auf Nguyễn
Du’s konfuzianisch mitgepraegte
Ansichten in seinem gewaltigen Werk der “Truyện
Kiều” . Die opfert ihre
Jungfraeulichkeit in dramatischem Konflikt in Abwaegung zur Treue zur
Familie. Vers 3115: “Xưa nay trong đạo đan
ba, Chữ trinh kia cũng co
ba bảy đường,” , frei : “Es gibt mehrere Wege,eine Jungfrau
zu sein; unter aussergewoehnlichen Umstaenden kann sich das aendern.”
S. 22 : Es gibt eine
Jungfraeulichkeit der Seele.
Ich lege Interessierten
als Quelle ans Herz :
Meine Sorge : in neun Monaten in den
Spiegel zu schauen und mich “Uropa” murmeln zu hoeren. Dann sind
wir “die ueberhaupt gar nicht los. Von wegen !”
(Und in 19 Jahren “Ururopa” …
und in … in memoriam)
CATINAT