Willkommen auf meinem Blog

Auf dieser Seite findet ihr -in den verschiedenen Rubriken unter dem Titelbild- viele nützliche Infos rund um das Thema Vietnam und zudem jede Menge lustig-bis spannende Anekdoten aus meinem Alltag, als Schwiegertochter einer vietnamesischen Familie..

Samstag, 7. Januar 2012

(CATINAT) - Zuhause ankommen

Die Altstadtgasse, in der wir wohnen, ist eng , manchmal nur fuer eine Person. In Suedamerika benennt man solche Gassen mit dem bezeichnenden Zusatz „...de beso“ , Kussgasse. Sie hat drei Zu- bzw. Abgänge, von denen ich einen voll beherrsche, den zweiten halbwegs, den dritten musste ich vorläufig meiden. Jetzt schleife ich Besucher dadurch, die ich nie mehr wieder sehen will. Man wohnt ohne Garten, eng aneinander mit den schmalen Fronten. Das Haus ist schwer fotografierbar, weil die Sichtwinkel darauf sehr spitz sind. Auslaender verirren sich mal ausserst selten hierher. Fotografieren kann ich nicht, es sei denn heimlich, weil meine Frau und ich ein Teil der Wohn-/Lebensbevoelkerung hier sind. Und nicht zum abstaendigen „Dokumentieren“ hier sind.

Tägliche Obstverkäuferin in der Hẻm

Ein Nachbar, 83 Jahre alt, war gestorben, als ich eintraf. Die Totenfeier dauert fünf Tage, wichtiger noch : fünf Nächte. Musikkorps kommen und gehen. Dazwischen spielen sie. „Ohrenbetäubend“, Tag und Nacht, herrlich schräges Blech und Trommeln. Paradieren und machen Faxen, was das Zeug hält. Mit Trompeten, Schlagzeugen, mit und ohne Gesang – eigentlich gar nicht traurig – mit Vorführungen, alles vor dem Sarg von Opa und auf der Gasse davor, in der Nacht auch von sexy Tänzerinnen in knappem Kostüm. Am dritten Tag in diesem Trubel treffen die beiden Söhne des verstorbenen Herrn aus Amerika ein. 

Traditionelle Totenfeier

Das Fest wird noch lauter. Natürlich darf zwischendurch auch von den Verwandten mit dem weißen Stirnband geschluchzt werden. Das funktioniert bei vielen wie auf Knopfdruck. Auch bei Lan , meiner Frau . Bis ich kapiere : das ist ortsübliche Kommunikation aus eigentlich betrüblichem Anlass. Jedenfalls gibt das Erscheinen der sehr netten Herrn aus Amerika der Festtagsstimmung noch einen zusätzlichen Impuls. Sie stellen sich uns vor, wir stellen uns vor. Ich muss das etwas lauter machen, um ein Trompetensolo zu über“stimmen“; da bricht die Musik ab; man hört mich noch zwei, drei Silben schreien, die umstehenden Trauernden wirken amüsiert und verständnisvoll . Sie geben mir ein starkes Gefühl der Wärme, Zugehörigkeit, Solidarität, des Wohlwollens .

"De Beso" - z.dt. Die "Kussgasse"

Zum Glück : Lan gelingt es, zu weinen, alle nehmen das zur Kenntnis, viele stimmen ein, fassen sich an, umarmen sich in wohliger Trauer, der Kapellmeister erfasst die Situation, lässt gleichsam in einem herzhaften „Tusch“ den Cheftrompeter und den Trommler gekonnt die Situation meistern . Danke ! Am Morgen des fünften Tages wurde der Sarg - ein Kunststück in der engen Gasse – aus dem Haus getragen. Eigentlich : gekantet – und wäre um ein Haar samt Inhalt vor dem Eingang gekippt. Mit Mühe wuchteten die Männer ihn auf den mit goldenen und roten Drachen verzierten Katafalk. Vorher hatten Lan und ich vor dem Sarg und umringt von allen Anteilnehmenden mit Anzünden von Räucherstäbchen, Niederknien und dreimaligem Kopfsenken nebeneinander vom Toten Abschied genommen; ich hab aus den Augenwinkeln Lan beobachtend alles nachgemacht – offenbar fehlerarm. Wir schlossen uns dem sich bildenden Trauerzug mit Musikkapelle an. Meine Teilnahme bzw. Anteilnahme an diesem Geschehen hatte ungeahnte Folgen mit geradezu existentieller Bedeutung für mich. Das wurde mir aber erst später klar; oder besser : klar gemacht.

Weitab der Touristenpfade..Alltag in der Hẻm

In einen der auf dem Boulevard wartenden mit Rot und Gold und Drachenfiguren geschmückten Busse sind wir dann nicht eingestiegen. Die waren für den Transport der Verwandten zur Beisetzung auf dem buddhistischen Friedhof vorbehalten. Wir waren todmüde. Die Rituale sind wohl älter als der Buddhismus. Aber : in der Nachbarschaft sind wir „angekommen“. Ich spürte das in der Folgezeit an den freundlichen Reaktionen und der Aufgeschlossenheit der Nachbarinnen und Nachbarn. Wenn LaVie, der Wasserbehälter mit 21 Litern, vor unserer Tür angeliefert wurde, war sofort ein junger Mann aus dem gegenüberliegenden Haus da, um die Reparatur seines Motobikes zu unterbrechen und beim Hineintragen zu helfen. Wichtiger noch : Moi ! Beziehungsweise der Papa von Moi. Der Franzose, der eine Vietnamesin hier ein paar Häuser weiter im letzten Jahr geheiratet hat, ist mit ihr nach Frankreich gezogen, war in der Parfüm-Industrie tätig, wurde arbeitslos. Sie soll nicht glücklich sein – aber die Leute in unserer Gasse haben ihr Thema !