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Auf dieser Seite findet ihr -in den verschiedenen Rubriken unter dem Titelbild- viele nützliche Infos rund um das Thema Vietnam und zudem jede Menge lustig-bis spannende Anekdoten aus meinem Alltag, als Schwiegertochter einer vietnamesischen Familie..

Montag, 6. Februar 2012

(KEO) - Krankheitsbild "Privatsphäre"

Mich als gebürtige Deutsche überfällt sie nach wie vor noch des öfteren. Die Krankheit "Wunsch nach Privatsphäre".
Ein Vietnamese wird wohl nur in Ausnahmefällen von diesen Leiden heimgesucht.
Wir Ausländer sind somit quasi chronisch Krank in den Augen unserer asiatischen Mitmenschen.

Immer gesellig, immer in Gesellschaft.
Die Vietnamesen selbst hingegen scheinen immun zu sein. Kein Wunder auch, beim hiesigen Familienbild.
In Vietnam stellt sich der "Neureichtum" erst seit geraumer Zeit ein und dadurch entsteht ja erst die Möglichkeit, sich überhaupt den notwendigen Raum für eine ausreichende Privatsphäre zu schaffen. Man könnte auch sagen, ihn sich "an"zuschaffen, denn vor nicht allzu langen hatten die Menschen hier noch nicht die finanziellen Mittel für jedes neue Familienmitglied einen neuen Haushalt zu erwerben.
So ist es nicht unüblich, dass in einem Heim, sogar in einem Raum bis zu 10 Mitglieder einer Familie zusammenleben. Normalerweise gleich mehrere Generationen unter einem Dach. Vietnamesen wurden also bis heute sozusagen bereits in die "Immunität" gegen unseren Virus hineingeboren.

Weil Kinder, sobald sie ein gewisses Alter erreicht haben aber wie überall auf der Welt auch irgendwann einen Partner finden und ebenfalls eine Familie gründen, mussten natürlich vereinzelt Regeln her, denn ein normaler Mensch möchte nunmal auch mit seinem Ehepartner zusammenleben.
Deswegen hat man beschlossen, dass Töchter die einen Mann gefunden haben, künftig mit unter dem Dach der Eltern ihres Ehemannes leben und erwachsene Söhne bei den Eltern bleiben.
Als Ersatz für die "verlorene" Tochter, die ja auch eine Hilfe für Vater und Mutter ist, kommt dann die Schwiegertochter ins Haus und übernimmt ihre Aufgaben.

Vietnamesen stets im Kreise ihrer Liebsten
Diesen "Platz" der Schwiegertochter habe auch ich eingenommen, als ich vor etwa 3 Jahren von Deutschland nach Vietnam zu anh Tùng gezogen bin.

Und die Aufgabe einer Schwiegertochter, besteht in der Regel darin, sich um das Wohlergehen ihrer Schwiegermutter zu kümmern und dieser bei allen möglichen Arbeiten zur Hand zu gehen.
So gesehen wäre meine Aufgabe also relativ leicht zu bewältigen gewesen, da meine "Mẹ" (=vietnames. Mutter) -wie ich sie üblicherweise nenne- eine "O-xin" hat.
Eine "O-xin", -in Deutschland würde man sie vermutlich Hausmädchen oder Hauhaltshilfe nennen-, stammt meist aus ärmeren Verhältnissen vom Lande-, lebt in der Regel gleich mit in der Familie und hat meist nur ein paar Mal im Monat oder mitunter auch nur ein paar Mal im Jahr einige Tage frei, damit sie nach Hause ins Dorf zu ihren Verwandten fahren kann.

Ansonsten ist die sogenannte "O-xin" im Prinzip 24 Stunden am Tag auf Abruf irgendwo in den Wohnräumen zu finden und erledigt im Grunde alle Aufgaben und Arbeiten-, wie Wäsche waschen, Geschirr spülen, Putzen, Kochen, "Babysitten" bzw Kinder hüten, Einkaufen gehen und eben sonst noch alles, was so anfällt.

Ausländer. Nur bedingt Gemeinschafts-"belastbar"
Wärde also so gesehen, nicht mehr viel übrig geblieben, an zu verrichtenden Tätigkeiten für mich.

Würde ich keine frisch gebackene Ehefrau gewesen sein und hätte mich regelrecht danach gesehnt, meinem Mann die schmutzige Wäsche zu waschen, die Socken zu sortieren, die Hemden zu bügeln (nagut, dass ist gelogen. Ich hasse bügeln und kann es auch ehrlich gesagt nicht ), ihm sein Essen zuzubereiten, meiner kleinen bei den Hausaufgaben zu helfen und meiner Schwiegermutter zur Hand zu gehen um eine ordentliche Beziehung zu ihr aufzubauen.

Ich war somit in einer blöden Situation. Auf der einen Seite wollte ich, auf der anderen Seite: allein konnte ich ja gar nicht, denn zu der Zeit hatte ich schon meine erste, feste Anstellung in Vollzeit (Mo-Sa von ca 7-22 Uhr und rund zwei Stunden Mittag) an einer Schule und hätte es so niemals geschafft nebenbei auch noch das gesamte Haus von immerhin 7 od. 8 Stockwerken in Schuss zu halten, dass zudem auch noch in zwei komplett seperate Wohnbereiche zur Rechten und Linken, der Etagen aufgeteilt ist.
In jedem Stockwerk könnte man gut und gerne 2 ganze Eigentumswohnungen unterbringen und das putzt mal neben Kind, Ehemann und Schwiegermutter...Ach ja und natürlich dem Vollzeitjob von 13 Stunden am Tag und den anderen "Kleinigkeiten", die eben immer so anfallen.

Aber ich schweife ab..Es ging ja eigentlich um "ausländische Gebrechen".
So viel aber zumindest dann schon mal vorab zu den weiteren Beweggründen meiner später im Text getroffenen Entscheidung..

Mit meiner Schwiegermutter im Studio
Nun aber zurück zur Privatsphäre.
Vermutlich aufgrund dessen, dass Vietnamesen also seit jeher gemeinsam in einem Raum, ohne Trennwände oder gar geschlossene Türen leben mussten und ebenso all ihre Gebrauchsgegenstände grösstenteils miteinander verwendet wurden , können sie auch nicht wirklich viel anfangen mit dem Begriff  "Meins", wie "Das ist mein Zimmer", "das ist meine Haarbürste", "das ist meins".

Die engen Familienbande und der extrem ausgeprägte Gemeinschaftssinn der Vietnamesen tun ihr übriges und lassen so ein persönliches entfalten des Individuums, gepaart mit Besitzansprüchen im Prinzip gar nicht erst aufkommen.

Eigentlich ist daran ja überhaupt nichts auszusetzen. Ganz im Gegenteil diese besonderen Eigenschaften der Vietnamesen empfinde ich sogar als sehr positiv. Wären sie für uns Ausländer nur nicht so schrecklich ungewohnt!

Vietnamesen sind äusserst gesellig und wer nicht an ihren häufigen Zusammenkünften teilnimmt, sich von den anderen abschottet und immer zurückzieht, fühlt sich anscheindend deshalb auch in ihren Augen vermutlich nicht ganz wohl.
Mit dem stimmt auf alle Fälle schon mal was nicht.

Es war damit für meine Schwiegermutter selbstverständlich, dass sie Sonntag morgens (zur Erinnerung: mein einziger freier Tag in der Woche!) gegen 6 Uhr an unsere Zimmertüre (wenigstens sind wir zu diesem Zeitpunkt schon in den Genuss von getrennten Zimmern mit Türen gekommen) geklopft hat, um lautstark zu verkünden, dass wir uns in ca 10 Minuten unten einzufinden hätten, weil Gäste erwartet würden (übrigens von meiner Schwiegermutter, nicht von uns).
Wenn wir nicht umgehend reagiert haben, dann wurde die Tür einfach geöffnet und sie kam hereinspaziert, damit sie uns das ganze nochmal aus der "vor dem Bett"-Perspektive erzählen konnte.

Ganz mit mir selbst beschäftigt. In unserem alten Zimmer im Haus meiner Schwiegermutter
Verbrachte ich mal längere Zeit oben in "unseren" Wohnräumen um Emails an Freunde und Familie zu schreiben oder um einfach mal so richtig schön in aller Seelenruhe zu lesen, wurde ich in regelmässigen Abständen nach unten gerufen, weil man dachte, ich hätte ein Problem oder würde Heimweh haben.
Kam ich nicht, wurde irgendwann Bi zu mir heraufgeschickt um mich dazu zu bewegen, mich zu den anderen gesellen..

Sicherlich war das alles nur nett gemeint, aber so ein sehr enges "miteinander" kann für jemanden, der nicht damit aufgewachsen ist, schnell recht anstrengend werden.

Die eigenen 4-Wände..endlich tun und lassen was man will.. ;)
Hinzu kam dann in meinem Fall noch, dass durch die "O-xin" zusätzlich auch im verbliebenen Rest, "meiner" ohnehin schon ziemlich beschränkten Privatsphäre vorgedrungen wurde.
Sie sortierte meine Unterwäsche, sie machte mein Bett, sie schloss meine offenen Bücher...

Kurzum: ein eigener Hausstand sollte her.
Aber in Vietnam?! Völlig undenkbar! Mein Mann ist zudem noch das einzige Kind seiner Mutter, was die Sache noch viel undenkbarer macht.

Meine Vorgängerin -Bi`s leibliche Mutter- hat sich an diesem Wunsch, den auch sie an Tùng herangetragen hatte, die Zähne ausgebissen. Nie und nimmer hätte er zugestimmt.

Ganz anders allerdings, als bei mir. Hier hat Tùng das grösste und "schwerwiegendste" Eingeständnis in unserer Beziehung und der gemeinsamen Ehe gemacht, wofür ich ihm unendlich dankbar bin.
Bereits knappe vier Monate nachdem ich den Wunsch geäussert hatte, waren wir am umziehen ins Eigenheim. Das ist zwar mit seinen 3 Etagen wesentlich kleiner und bei weitem nicht so komfortabel und modern ausgestattet, wie die Stadtvilla von Tùngs Mutter, dafür können wir hier aber Sonntags auch mal ausschlafen bis der Hunger uns weckt..

Endlich wieder ganz und gar "meins".
Weil das neue Domizil auch nur einen Steinwurf von der Residenz der Mutter entfernt liegt, haben wir so ziemlich die perfekte Mischung zwischen deutschen Verständnis von Privatsphäre und vietnamesischer Auffassung von Geselligkeit und Familienleben.
Ich wurde zwar nicht geheilt, habe aber auf diesem Wege eine heilvolle Medizin erhalten.
Und wer weiss.. in ein paar Jahren, wenn es mir dann schon wieder etwas besser geht, dann werde ich meinem lieben und verständnisvollen Mann wahrscheinlich sein riesen Eingeständnis zurück"zahlen" und wir ziehen wieder zu seiner Mutter, damit sie im Alter nicht einsam ist.